Meditation zu dem Gedicht "Wohl kenn ich den Quell" von Johannes vom Kreuz

Wohl kenne ich den Quell, der rinnt und fließet, 
wenn es auch Nacht ist.

Verborgen ist dem Blick die ewge Quelle,
doch weiß ich wohl zu finden ihre Stelle,
wenn es auch Nacht ist.

Ich weiß, nicht Ursprung hat sie je genommen,
doch aller Ursprung ist aus ihr gekommen,
wenn es auch Nacht ist.

Ich weiß, dass keine Schönheit ihrer gleiche,
sie tränkt die Erde und die Himmelreiche,
wenn es auch Nacht ist.

Ins Bodenlose, weiß ich, würde gleiten,
wer sie beträte, um sie zu durchschreiten,
wenn es auch Nacht ist.

Niemals hat ihre Klarheit sich verdunkelt,
und alles Licht weiß ich aus ihr entfunkelt,
wenn es auch Nacht ist.

Gewaltig weiß ich ihre Ströme eilen
durch Höllen, Himmel und wo Menschen weilen,
wenn es auch Nacht ist.

Den Wassern, die aus dieser Quelle steigen,
wohl weiß ich ihnen alle Macht zu eigen,
wenn es auch Nacht ist.

Den Strom, zu dem zwei Ströme sich verbinden,
weiß ich mit beiden nur zugleich zu finden,
wenn es auch Nacht ist.

Verborgen rinnt der Quell, auf dass wir leben,
in dem lebend'gen Brot, das uns gegeben,
wenn es auch Nacht ist.

Hier ruft er die Geschöpfe, dass sie kommen,
zu stillen sich, von Dunkelheit umschwommen,
weil's in der Nacht ist.

Ersehnter Quell, dich such' ich nicht vergebens,
ich schaue dich in diesem Brot des Lebens,
auch wenn es Nacht ist.

Johannes vom Kreuz schrieb dieses Gedicht im Kerker zu Toledo, einer Zeit großer Herausforderung, großer äußerer und innerer Not.

Was meint Johannes vom Kreuz mit diesem Quell, der dennoch rinnt und fließet?

Gibt es etwas in meinem Leben, das mich motiviert, Schweres, Dunkelheiten durchzustehen? Oder wenn große äußere Herausforderungen ausbleiben, was lässt mich durch alle Banalität des Alltags hindurch weitergehen? Vielleicht ist es die Sehnsucht nach Ihm, die im Innersten des Wesens ruht und nach Ihm ruft, eine Sehnsucht, die gespeist wird von der Sehnsucht Gottes nach uns. Was könnte mich immer wieder neu hinführen zu dieser Quelle, die in mir fließt, seit Gott Sein Ja zu mir gesprochen hat?

Es gilt, die Sehnsucht wach zu halten, offen zu halten, sich ihr auszusetzen, weil sie das Kostbarste in mir ist, das, was mein Leben lebenswert macht.

Lauschen auf das Geheimnis, das sich in meinem tiefsten Inneren verbirgt, das keinem Menschen, nicht einmal mir selbst offenliegt, aber das ich erahne und das mich so beglückt, dass es meine Ewigkeit ausfüllen wird. Dafür möchte ich alles in meinem Leben tun. Ich möchte es hüten, beschützen.

Ich bin angewiesen auf Menschen, die diese Sehnsucht in mir wieder wach werden lassen, vielleicht dadurch, dass ich die Sehnsucht, die tief in ihnen ruht, verspüre. Sie ruht in uns wie ein kostbarer, verborgener Schatz.

Ich weiß nicht, wie man es benennen könnte. Ist es der Ruf Gottes, der mich hält? Ist es sein Siegel, das er mir eingeprägt hat, seine Berührung, die mich verwundet hat?

Wie kann ich diesem Geheimnis in mir Raum geben?

Die Tradition des Karmel spricht von "vacare Deo" Raum schaffen für Gott.

Johannes vom Kreuz ruft in der "Dunklen Nacht" aus:"

..nichts andres führte mich,

als nur mein Licht im Herzen innerlich.

Dies hat mich hingeleitet,

viel sichrer als das volle Licht am Tage,

wo Er sich mir bereitet,

zu dem ich Liebe trage..."(N, 3.u.4.Str.)

Wenn ich meiner tiefsten Sehnsucht folge, werde ich frei, weil ich einem Du begegne, das mich ganz und gar bejaht und liebt, so wie ich bin.

Von dieser Quelle gespeist, wird mein Blick rein und lauter. Es erfüllt sich die Verheißung des Herrn: "Aus seinem Inneren werden Ströme lebendigen Wassers fließen"(Joh 7,37-38)".

Mein Blick wird klar, und ich entdecke in unserer Nacht viele Zeichen der Hoffnung: Ich darf Wachstum erkennen überall dort, wo Zeichen der Vergebung geschehen, Zeichen, die dem anderen das Leben ermöglichen.


Sr. Teresa Benedicta OCD